Das Gespräch wurde für Klarheit gekürzt und bearbeitet. Transkription von DK & Chris mit Unterstützung durch whisper.cpp.
DK: In deiner schriftlichen Bachelorarbeit, Bauhüttenbuch – Tradition and the Individual Talent, hast du die Symbolik Googles anhand christlicher Motive untersucht und deren Parallelen beschrieben. Warum hast du dich für diesen Titel entschieden und was ist denn ein Bauhüttenbuch?
Nico Höfle (NH): Der Titel Bauhüttenbuch kommt von den Bahüttenbüchern, die im Mittelalter geschrieben wurden. Bauhütten waren damals Zusammenschlüsse von Architekten. Weil man damals nicht die Möglichkeit hatte, gewisse Dinge auszurechnen, gab es den Bauhüttenmeister. Der ist durch das Land gereist und hat sich verschiedene Bauwerke angeschaut. Dieses Bauhüttenbuch wurde dann von Bauhüttenmeister zu Bauhüttenmeister weitergereicht und von verschiedenen Leuten nach und nach ergänzt und zusammengetragen.
Tradition and the Individual Talent bezieht sich auf einen Essay von T.S. Eliot, in dem er darüber schreibt, wie man als kunstschaffende Person immer in der Tradition von den Künstler:innen, die vor einem gearbeitet haben, arbeitet. Wir bekommen Einflüsse von anderen Kunstwerken, von der Kultur, die uns umgibt. Je besser wir diese Kultur kennen, desto besser verstehen wir die Tradition in der wir arbeiten. Wir können uns dem nicht entziehen.
Aber das reicht nicht, um etwas wirklich Neues zu erschaffen. Das erschafft man dann nur, wenn man sein individuelles Talent mit einbringt. Wenn sich jemand zum Beispiel mit seinem eigenen Input auf ein älteres Kunstwerk bezieht. Der Betrachter, die Betrachterin schaut sich das Kunstwerk an und wird dann an das Bild denken, auf das sich der Künstler oder die Künstlerin bezogen hat. Gleichzeitig werden die Leute das Bild nie wieder mit den gleichen Augen sehen, sondern auch gleichzeitig an das neue Kunstwerk denken. Nur so kann man sich in diesen Kanon einreihen. Der Kanon, der einen selber beeinflusst, den beeinflussen wir dann in gleichem Maße wieder.
Deswegen habe ich mir so ein traditionelles Buch herausgesucht, auf das ich Bezug nehme, aber das ich natürlich auch ein bisschen zeitgemäßer und mit meinen individuellen Ansichten und Einblicken verändern will. Mich hat am Bauhüttenbuch gereizt, dass es eine lose Ansammlung von verschiedenen Ideen und Eindrücken war und, dass man immer wieder die Dinge verändert hat. Deswegen habe ich ein Google-Doc erstellt, auf das mehrere Leute Zugriff haben. Das heißt, das ist jetzt meine erste Ansammlung zu dem Thema und andere Leute können auf dieses Dokument zugreifen, es verändern und daran weiterarbeiten.

DK: Zurück zum Hauptpunkt deiner Arbeit: Wie ähnelt eine Firma wie Google Gott?
NH: Bei der institutionellen Religion haben wir einen Gott und der ist allmächtig und allwissend. Wenn die Anhängerschaft zu diesem Gott betet und glaubt, verspricht sie sich davon gewisse Vorzüge.
Bei Firmen wie Google ist der Unterschied, dass sich die Menschen selbst einen Gott erschaffen und dass sie sich diese Ziele, die man einer externen Instanz wie Gott eigentlich gibt, diese Allwissenheit, diese Macht, selber aneignen können. Statt zu beten und eine Anhängerschaft zu leisten wollen die Menschen Wissen bekommen, vom Internet, von der Firma Google und dafür geben sie ihre Daten her. Je mehr Leute Google nutzen, desto besser kann Google analysieren, welche Antworten besser sind, welche Antworten gesucht werden und dadurch bessere Leistungen erbringen.
Google ist dadurch eine allwissende Instanz, auf die wir Zugriff haben, aber die seine Allwissenheit von dem Benutzer bekommt. Bei der institutionellen Religion ist es vielleicht ähnlich; je mehr Leute in der Kirche sind, desto mächtiger wird sie auch und desto mehr Macht bekommt Gott. Dafür bekommen die Menschen die Hoffnung darauf, erlöst zu werden, dass Gott ihnen hilft mit Problemen in ihrem Leben, so wie Google vielleicht auch den Leuten hilft, Probleme zu lösen.
Wenn ich jetzt eine Hausarbeit habe, kann ich das googlen und dadurch eine bessere Hausarbeit schreiben, aber dadurch liefere ich Google natürlich auch immer mehr Daten. Zum Beispiel bei dem Bauhüttenbuch - diese ganzen Infos habe ich aus dem Internet durch Internetrecherchen. Ich habe mir Bücher gekauft über Websites und Google konnte mir dann andere Bücher vorschlagen, die mich vielleicht auch weiterbringen - und im Gegenzug hat Google mich dann analysiert. Am Ende habe ich dann mein Bauhüttenbuch auf Google Docs hochgeladen. Das ist es jetzt auch wieder Wissen, das für andere Leute zugänglich ist.
Es gibt das Versprechen in der institutionellen Religion oder im Christentum, dass wenn man an Gott glaubt, man dann irgendwann das ewige Leben erreicht. Sehr viele Forschungsgelder von Google, habe ich über meine Recherche herausgefunden, fließen in Tochterfirmen, die wirklich aktiv daran forschen, Lösungen zu finden, Menschen unsterblich zu machen.
DK:Welche vergleichbaren Effekte haben die beiden Institutionen auf deren Anhänger und Enduserinnen?
NH: Die Sache ist ja, dass Gott eine unergründliche Instanz ist. Man kann Gott nicht begreifen. Man soll sich in der christlichen Religion kein Bild von Gott machen. Man legt seine Hoffnung in eine Instanz, die einfach nicht verstanden werden kann, weil sie zu mächtig und zu groß ist. Bei Google oder bei allgemeinen Technikunternehmen haben wir das Ähnliche, dass eine große Anzahl an Menschen Algorithmen schreibt. Am Ende wird ein Algorithmus geschrieben, der von einer einzigen Person gar nicht mehr verstanden werden kann.
DK: Für deine Bachelorarbeit musstest du nicht nur eine schriftliche Arbeit schreiben, sondern auch eine praktische umsetzen. Du hast dich dafür von der Glasmalerei inspirieren lassen. Warum transportiert das Medium der Glasmalerei besonders gut diese Aspekte, die du erwähnt hast?
NH: Ich habe mich für die Glasmalerei entschieden, weil sie früher als die erste virtuelle Realität bezeichnet wurde. Und zwar gab es einen Franziskanermönch im 13. Jahrhundert, Roger Bacon, der einen Brief an den Papst geschrieben hat über wie wichtig es ist, möglichst realistische Malereien und Ausgestaltungen der Kirchen für die Anhänger der Religion zu gestalten. Damals gab es eine hohe illiterate Bevölkerung. Seiner Meinung nach, stärkt das den Glauben, wenn diese Dinge, über die erzählt wird - diese paradiesischen Zustände, diese Hoffnungsträger, die Geschichten von den Heiligen - nicht nur erzählt werden, sondern auch möglichst realistisch, bildlich dargestellt werden. Und je realer sich die Leute das vorstellen können, desto stärker soll dann auch der Glaube werden.
Da gibt es Parallelen zur virtuellen Realtität, wie wir sie heute kennen. Eine VR-Brille gauckelt einem eine Realität vor. Durch verschiedene Lichter wird dem User vorgegauckelt, dass, was um ihn herum existiert, was eigentlich nicht da ist.
Man muss sich vorstellen, wenn man früher in eine Kirche in einen lichtdurchfluteten Raum kam und diese Bilder von den Heiligen und Erzählungen aus der Bibel sah und die nicht nur sah, sondern sich dadurch bewegen konnte, weil dieses Licht in die Kirchen fiel, was das für einen Effekt auf die Menschen in der Kirche gehabt haben muss. Das war eine Möglichkeit diese imaginierte Welt, dieses himmlische Reich, auf Erden den Leute vorzuspielen. Heute machen wir das mit einer VR-Brille, früher hat man das mit der Glasmalerei versucht.
Persönlich, obwohl ich mich jetzt mit digitalen Medien auseinandersetze und einem digitalen Thema, habe ich einfach als Individuum schon eine Affinität für eine handwerkliche Realisation. Das ist mein Zugang zu solchen Themen, dass ich da ganz persönlich eine Freude am Arbeiten habe. Und das habe ich dann vor allem an den traditionellen Medien.

DK: Trotzdem hast du nicht ausschließlich analog gearbeitet. Wir sitzen gerade vor einer Arbeit, die du digital umgesetzt hast.
NH: Ah ja, genau. Dazu habe ich dann gemerkt, dass wenn ich das nur in Glasmalerei umsetze, ganz klassisch mit einer Bleiverglasung, dass das schon funktioniert, aber dass ich die Vorskizzen für diese Bleiverglasung eigentlich auch mit einem digitalen Medium, mit PowerPoint gearbeitet habe. Diese Grafiken hatten an sich noch mal eine andere, viel cleanere und auch digitalere Qualität. Deswegen habe ich dann Grafiken auf Fensterfolie gedruckt, auf Floatglas aufgezogen und die Glasplatten dann installiert. Dadurch hat man immer noch dieses Lichtspiel, immer noch diese Assoziation zu Kirchenfenstern - also es war ein Versuch das nochmal ein bisschen zeitgemäßer umzusetzen. Und natürlich auch um Zeit und Kosten ein bisschen zu sparen.
DK: Dafür hast du Symbole verwendet - um diese Arbeit umzusetzen. Und so wie sie im Christentum eine große Rolle spielen, ist der Wiedererkennungsfaktor von Icons und Logos für Online-Dienste relevant. Welche Parallelen hast du entdeckt?
NH: Ich habe mir die Kirchenfenster angeschaut, die Ikonographie entschlüsselt, geschaut, welche Symboliken damals benutzt wurden. Dann habe ich mir angeschaut, was Google für Icons, die ja auch linguistisch sehr nah an Ikonographischen dran sind, benutzt.
Zum Beispiel bei den Sprach-Apps habe ich geschaut, wie das früher mit dem Turmbau zu Babel war. Ich habe dann diese verschiedenen Icons so zusammengebaut, dass sie auch wieder einen Turm ergeben. Was mir da aufgefallen ist, ist auch nochmal diese Parallele, damals wurde ja versucht ins himmlische Reich zu gelangen. Als Strafe dafür hat Gott das dann so eingerichtet, dass sich die Leute nicht mehr untereinander verständigen konnten. Und, dass Google genau die Sache jetzt rückgängig machen will, dass sie jetzt diese Programme schreibt, damit wir uns besser verständigen können, dass wir uns austauschen können und, dass man heutzutage in ein anderes Land reisen kann und dann einfach sich mit Leuten unterhalten kann.
Google hat auch Symbole für ihre eigenen Forschungsfelder auf ihrer Webseite. Das Symbol für das Datenmanagement, das Symbol für den elektronischen Handel und für die allgemeine Wissenschaft haben mich dann doch wieder dran erinnert, dass Kloster genau diese Funktionen erfüllt haben im Mittelalter. Sie die ersten Orte, an denen Informationen oder Wissen gesammelt und katalogisiert wurden und auch zugänglich gemacht wurden. Klöster waren Standpunkte des Handels, wo Leute aus der ganzen Welt hingekommen sind und auch Orte für wissenschaftliche Innovation und für Forschung. Das sind Parallelen, die symbolisch immer wieder vorkommen.
DK: Welche Signifikanz haben die ausgewählten Farben?
NH: Ich habe recherchiert, welche Farben Google genommen hat und das ist durch den Hexadezimalcode sehr leicht zu reproduzieren. Dann konnte ich genau die gleichen Farbwerte für meine Glasfenster benutzen, die Google benutzt. Blau, rot, grün, sind die Primärfarben und gelb wird benutzt, um diese aufzubrechen. Ich mich damit beschäftigt, wie diese Farben eingesetzt wurden für diesen Wiedererkennungswert, also dass man diese Fenster und diese Ikonographie auch wieder mit Google assoziiert.
DK: Diese Farben haben auch im Christentum unterschiedliche Bedeutungen.
NH: Im Christentum ist die Farbe blau die Farbe des Himmels, der Wahrheit, der Treue, steht für Moral und Reinheit. Die Farbe gelb ist die Farbe der Ewigkeit, die in Gold immer wieder in der christlichen Ikonographie, in Malereien, in Skulpturen vorkommt, die steht für das ewige Leben.
Die Farbe grün ist die Farbe des Paradieses und der Unsterblichkeit, da beziehe ich mich auf diese Forschung von Google, aufs ewige Leben. Und die Farbe rot ist auch wieder Sinnbild für Leben, für die Unsterblichkeit, für die Inkarnation oder für das Martyrium.

DK: Die Arbeit ist von 2021, allerdings um in dein Atelier zu kommen, musst du am Googlefenster vorbeilaufen. Welche Bedeutung hat es heutzutage für dich?
NH: Es ist eine Arbeit, die mir immer noch sehr gut gefällt und die für mich einfach noch nicht ganz abgeschlossen ist. Sie ruht gerade an diesem Fenster und ist ein Mahnmal dafür, dass ich mich damit wieder auseinandersetzen möchte. Allerdings habe ich mich jetzt gerade davon wegbewegt. Bei dem Projekt ist es so, dass es noch ganz viele Richtungen gibt, in die es gehen könnte. Da fehlt mir aber gerade noch so ein bisschen dieser Anreiz, oder ich habe die Sorge, das einfach nur durchzudeklinieren und einfach nur noch zu machen, damit es gemacht ist. Ich möchte schon auch Freude daran haben. Gerade bin ich so ein bisschen dabei, mich mit Windows mehr zu beschäftigen, also der Firma, nicht dem Fenster, wo man ein bisschen plakativ diese Parallele hat zwischen Glasfenstern und dem Programm. Und Apple. Das sind die Firmen, wo ich die Ikonogrpahie gerne ein entschlüsseln würde. Da warte ich entweder auf die intrinsische Motivation, da professioneller weiter dran zu arbeiten oder auf eine extrinsische Motivation, weil die Arbeiten ja dann eher ortsbezogen installiert werden, dass es ein Interesse gibt oder eine Ausstellung, für die ich dann die Arbeiten nochmal irgendwie verändern kann. Jetzt einfach so ins Leere reinzuarbeiten, hat natürlich auch wieder was Experimentelles, aber ich glaube, die Experimentierphase von dem Projekt ist zurzeit erstmal abgeschlossen.
Andererseits genieße ich auch einfach das Fenster jetzt noch hier zu haben. Und bis jetzt stört es niemanden von meiner Ateliergemeinschaft. Und es freut mich auch irgendwie eine Arbeit zu haben, die mich nicht nur inhaltlich beschäftigt hat, sondern die ich mir auch gerne anschaue.
DK: Ich freue mich auf jeden Fall auf Updates – pun intended. Aber bis dahin, an was arbeitest du gerade? Was ist zurzeit relevant für dich?
Ich bin immer noch in der Sparte Symbolik und Glauben oder Religion, allerdings Symbolik in der Schrift. Die linguistische Symbolik von einem Wort das nur ein Symbol ist für eine reale Instanz. Jetzt arbeite ich gerade viel mit Schrift, um religiöse Themen nochmal anders darzustellen oder aufzuarbeiten, und auch Themen der Okkulten, Magie und des Aberglaubens, die mich weiterhin interessieren eher symbolisch, mit Schrift aber auch mit Bild umzusetzen.
Das Interview wurde am 06.09.2023 in Nicos Atelier durchgeführt.
