librevoll: Blender - Oliver Kraft

INTERIEUR. EIN ARBEITSPLATZ, HÄUSLICH - TAG

Wir sehen eine Figur vor einem Bildschirm sitzend. Ihre Hände bewegen sich über die Tastatur und führen eine Maus. Ein Programm mit dem Namen Blender wird ausgeführt.

STIMME AUS DEM OFF (FLÜSTERND AUF DEM LINKEN AUDIOKANAL):

Sie sind Teil eines maschinellen Zusammenhangs. Die Hände und die Eingabegeräte operieren in beide Richtungen. Das Produkt, das Modell, welches entsteht, ist keine Repräsentation irgendeiner angenommenen Realität. In der Operation der Modellierung verschieben sich Punkte im Raum nach vorne und hinten, oben und unten, nach rechts und links, mitunter der Oberfläche einer Vorlage folgend. Ständiges Gleiten im Raum von Vergrößerung zu Verkleinerung. In jedem Moment dieser optischen Bewegung stehen die Teile Perspektive und Augen zueinander in Beziehung. Dem Augenpaar und dem diffusen Durcheinander dahinter wird ein Platz zugewiesen. In Teilen des maschinellen Zusammenhangs entsteht so die Illusion von Kontrolle.

An der Wand hängen Poster. Es sind Sicherheitsanweisungen: Haltungstipps, Vorschläge zur Pausengestaltung, Achtsamkeitsbonmots und Resilienzguides.

FIGUR (INNERE STIMME):

Arbeitssicherheit schützt die Produktion. Gestern haben alle meine Kolleginnen gesagt, dass Ergonomie nervt. Bis auf eine, die meinte, es komme einzig und allein darauf an, wer oder was den Workflow vorgibt und so die Körper orchestriert.

Wir sehen wie die Figur, auf einem Bürostuhl sitzend, ihr Gewicht Stück für Stück nach hinten verlagert. Sie nähert sich der Grenze der Stabilität.

STIMME AUS DEM OFF (FLÜSTERND AUF DEM RECHTEN AUDIOKANAL):

Der Ablauf kann jederzeit von Unterbrechungen ausgesetzt werden. Die Operation des Renderings, die das Modellierte in ein zu Sehendes mit Oberflächen verrechnet, suspendiert die organischen Teile des maschinellen Zusammenhangs. Strukturierte Arbeitsplanung verhindert unnötige Wartezeiten.
 

PASSANT AM FENSTER (FLUCHEND):
Struktur!

Wir sehen wie ein Dritter mittig das Arbeitszimmer betritt, für die Figur jedoch unsichtbar bleibt. Der Tag wandelt sich zur Nacht innerhalb weniger Augenblicke.

DRITTER (ERKLÄREND UND SICH IM RAUM BEWEGEND):

„In den letzten Jahrzehnten gab es unzählige dieser hier gezeigten maschinellen Zusammenhänge. Zu den verwendeten Programmen, einst sehr teuer in der Anschaffung, kamen kostenfreie Alternativen. Eine Ära dezentraler Massenbildproduktion brach an. Arbeitsaufträge wurden in Form von Videotutorials vergeben und flächendeckend bereitwillig umgesetzt. Zuerst bunte, fliegende Ketten von Buchstaben. Dann leere Landschaften, erschaffen in jeden erdenklichen Verhältnissen von Höhen und Tiefen. Sich ungeschickt bewegende, humanoide, unbehaarte, unbekleidete oft auch graue Wesen in nie gesehener Anzahl kamen hinzu. Alles war in der Lage auf Knopfdruck in Dreiecke zu explodieren. Physikalische Gesetze wurden anerkannt und Stoffe entwickelten die Fähigkeit zu wehen, zu spannen, zu fallen. Flüssigkeiten, zäh oder dünn, nahmen Ihren Lauf durch alle Formen von gegenständlichen Parcours. Gleichzeitig unterhielten die Dinge ein lockeres Verhältnis zu den Naturgesetzen. Feuer brannten ohne zu verbrennen. Durch Modelle geschossenes, überschüssiges Licht sammelte sich an unerhörten Stellen. Errechnete Bilder mischten sich unter Abbilder. Bildzeiten waren nicht mehr eingefroren oder in Abläufen festgelegt. Bilder veränderten sich in Echtzeit jedweder Art von Dateneingabe folgend. Alle wurden kurz fasziniert. Viele kehrten zurück zur Gewohnheit. Einige versuchten ihre Faszination ernstzunehmen.“

Oliver Kraft | Backseat, Espace | 2022 | Screenshot der Website www.backseat-espace.de | Planning and Giving Up